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Karikatur sorgt für „Verwerfungen“

Chefredakteur ist „entsetzt“ über die umstrittene Veröffentlichung

In einer überregionalen Zeitung erscheint eine Karikatur. Sie zeigt den israelischen Regierungschef Netanjahu, der eine Rakete in der Hand hält. Netanjahu trägt das Kleid der ESC-Gewinnerin Netta und sagt: „Nächstes Jahr in Jerusalem“. Auf der Rakete ist ein Davidstern zu sehen; auf einem Banner steht „Eurovision Song Contest“. Ein Davidstern ersetzt hier das „V“. Netanjahus Gesichtszüge sind stark überzeichnet mit großen Ohren, dicken Lippen und großer Nase. Mehrere Leser der Zeitung wenden sich mit Beschwerden an den Presserat. Sie halten die Karikatur für antisemitisch. Sie erinnere an die „Stürmer“-Optik der NS-Zeit. Die Zeichnung trage dazu bei, Vorurteile gegenüber Juden und Israel zu wecken. Dass der Davidstern als Symbol für Kriegstreiberei (Stichwort Rakete) benutzt werde, empfindet eine Beschwerdeführerin als besonders verletzend und skandalös. Israelkritik werde hier mit klassischem Antisemitismus verknüpft. Wer solche Karikaturen veröffentliche, trage dazu bei, das Klima gegenüber Juden in Deutschland zu vergiften. Die Zeitung – so einer der Beschwerdeführer – habe eine lange Geschichte antisemitischer Veröffentlichungen. Dieser Beitrag habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Das Justiziariat der Zeitung teilt mit, dass anders als sonst üblich keine presserechtliche Rechtfertigung der kritisierten Veröffentlichung vorgesehen sei. Der Grund: Es gebe keine. Der Rechtsabteilung, den Mitarbeitern und der Chefredaktion bleibe nur, sich für den Beitrag zu entschuldigen. Der Chefredakteur schreibt, der Karikaturist habe die „politische Instrumentalisierung des ESC-Sieges durch Netanjahu“ kritisieren wollen. Die Veröffentlichung der Karikatur habe zu Verwerfungen innerhalb der Redaktion geführt. Er selber hätte diese Karikatur niemals ins Blatt gebracht. Anders als der Zeichner sei er der Auffassung, dass der Beitrag antisemitische Stereotype und Klischees enthalte. Der Chefredakteur berichtet, er sei „entsetzt“ gewesen, als er die Karikatur in „seiner“ Zeitung sah. Er sei am Erscheinungstag nach längerer Abwesenheit wieder im Dienst gewesen. Die Zeitung hat sich von dem Karikaturisten getrennt.