„Unzulässige Verdachtsberichterstattung“
Zeitung berichtet über mutmaßliche Misshandlungen in einem Heim
Konflikte in einem Jugendheim beschäftigen die Justiz. Die Regionalzeitung berichtet über mutmaßliche Misshandlungen. Ehemalige Bewohner der Einrichtung hätten Strafanzeige gegen die Betreiber gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittle wegen Freiheitsberaubung, Körperverletzung und Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Die Zeitung zitiert die Mutter eines Mädchens, das in der Einrichtung untergebracht war und einen ehemaligen Mitarbeiter des Heims. Ihre Namen sind im Text verfremdet. Die Zeitung schreibt, die Betreiber hätten die Vorwürfe zurückgewiesen. Einer der Geschäftsführer der privaten Einrichtung, der im Text namentlich genannt wird, habe zunächst ein Treffen mit einem Vertreter der Zeitung zu einem klärenden Gespräch zu- und dann aber abgesagt. Der Geschäftsführer hält die Berichterstattung für nicht objektiv. Die Redaktion bekommt eine E-Mail des Anwalts des Heimbetreibers, in der der Zeitung unzulässige Verdachtsberichterstattung vorgeworfen wird. Beschwerdeführer ist die Leitung des Jugendheims. Sie spricht ebenfalls von unzulässiger Verdachtsberichterstattung über „ein inszeniertes Ermittlungsverfahren“, in dem noch keine Anklage erhoben worden sei. Eine Strafanzeige sei nicht ausreichend, um eine Verdachtsberichterstattung zu rechtfertigen, da eine Strafanzeige ungeprüfte Vorgänge betreffe. Die Aussagen der im Text erwähnten anonymen Zeugen werden in der Beschwerde als „unrichtig“ bezeichnet. Der namentlich genannte Geschäftsführer werde in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt. Die Behauptung der Zeitung, der Geschäftsführer habe ein Treffen abgesagt, sei unwahr. Dem Betroffenen sei entgegen vorheriger Zusicherung der Anwälte der Zeitung keine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Der Presserat beschränkt das Verfahren auf die Prüfung, ob die Darstellung des abgesagten Treffens zutreffend ist und ob der genannte Geschäftsführer hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Vorwürfen der Redaktion erhalten hat. Im Übrigen liegt kein Verstoß gegen den Pressekodex vor. Die Chefredaktion berichtet, bei dem beanstandeten Text handele es sich um die erste investigative Arbeit einer Volontärin, das von der Chefredaktion und einem Volontärbetreuer intensiv begleitet worden sei. Der Beschwerdeführer habe der Autorin schon im Vorfeld der Veröffentlichung gedroht. Die Redaktion habe sich deshalb vor der Veröffentlichung anwaltlich beraten lassen und einige Passagen verändert. Ein vorbeugendes Unterlassungsbegehren des Beschwerdeführers habe man zurückweisen lassen. Die Autorin des Artikels habe sich – so der Chefredakteur weiter – selbstverständlich bemüht, auch die Sichtweise der Betreiber der Jugendeinrichtung gründlich zu erforschen. Ein verabredetes Treffen sei kurzfristig von der Heimleitung abgesagt worden. Stattdessen habe deren Anwalt die Redaktion per E-Mail angeschrieben. Darin enthalten gewesen seien Drohungen, Belehrungen und Unterlassungsbegehren.