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Zeitung zitiert aus einem Gedenkbrief

Der Presserat beurteilt einen Bericht als unangemessen sensationell

Ein Gedenkstein am Absturzort in den französischen Alpen erinnert an die Opfer des Germanwings-Fluges 4U9525. Über die Erinnerungsstätte berichtet die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung unter der Überschrift „Ich kann dir das alles nicht mehr sagen“. Der Autor beschreibt, wie Angehörige dort Blumen oder Abschiedsbriefe ablegen. Ein Foto zeigt Angehörige (von hinten aufgenommen) beim Gedenken an die Opfer. Die Zeitung zitiert wörtlich aus abgelegten Briefen. Widmungen in niedergelegten Gegenständen werden teilweise detailliert im Bild gezeigt. Die Redaktion spekuliert auch über die Entstehung von Briefinhalten. So heißt es zum Abschiedsbrief einer Frau an einen Mann, offenbar habe die Katastrophe sie auseinandergerissen, bevor sie sich versöhnen konnten. Nach Auffassung mehrerer Beschwerdeführer aus dem Leserkreis der Zeitung seien die Gedenkbriefe nicht für die (Medien)-Öffentlichkeit gedacht gewesen. Sie sehen in der Berichterstattung einen Eingriff in den Persönlichkeitsschutz und eine unangemessen sensationelle Berichterstattung. Die Rechtsabteilung der Zeitung beruft sich auf die Presseratsentscheidung in der Beschwerdesache 0198/12/1. In dieser habe der Presserat anerkannt, dass an der Berichterstattung über die Einrichtung eines Gedenkraums ein öffentliches Interesse bestehen könne. Die Rechtsvertretung stellt aus ihrer Sicht richtig, dass der Brief der katalanischen Ehefrau, die beim Absturz ihren Ehemann verlor, offen ausgelegen habe, und nicht etwa – wie einige Beschwerdeführer offensichtlich vermuteten – in einem Briefumschlag verschlossen gewesen sei. Der Brief sei jedermann zugänglich gewesen, was von der Frau wohl beabsichtigt gewesen sei. Sie habe mit ihrem Schmerz nicht allein sein wollen. Im Übrigen sei weder die Frau noch ihr verstorbener Ehemann im Beitrag identifizierbar dargestellt worden. Die Zeitung weist auch den Vorwurf der unangemessen sensationellen Berichterstattung zurück. Die Redaktion habe vielmehr versucht, in einem pietätvollen Rahmen das Ausmaß der Tragödie ansatzweise zu vermitteln.