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Lesertäuschung mit erfundenem Schumacher-Interview

Angebliche „Welt-Sensation“ war in Wirklichkeit von KI erzeugt

Eine Boulevardzeitschrift kündigt auf ihrer Titelseite eine „Welt-Sensation“ an: „Michael Schumacher: Das erste Interview!“ ++ Es klingt täuschend echt ++ Was dahinter steckt“. Im Vorspann des Artikels heißt es: „In seinem Interview steht er zum ersten Mal seit seinem schweren Ski-Unfall Rede und Antwort. Aber – ist das wirklich unser Schumi, der da spricht?“ Der Beitrag beginnt mit den Worten: „Einmal mit ihm reden. Ihn fragen, wie es ihm wirklich geht. Und fast zehn Jahre nach seinem tragischen Ski-Unfall endlich Antworten bekommen!“ Hier sei es – das „unglaubliche Interview“. Mit „erlösenden Antworten auf die brennendsten Fragen, die sich die ganze Welt schon so lange stellt“. So laute die Antwort auf die Frage, wie es ihm seit dem tragischen Unfall 2014 gehe: „Mein Leben hat sich danach komplett verändert. Das war eine schreckliche Zeit für meine Frau, meine Kinder.“ Erst im letzten Drittel des Textes heißt es dann: „Hat Michael Schumacher wirklich alles selbst so gesagt? Das Interview war im Internet. Auf einer Seite, die mit Künstlicher Intelligenz, kurz KI genannt, zu tun hat.“ Die Redaktion sei auf Spurensuche gegangen. Es gebe „tatsächlich Internet-Seiten, auf denen man Gespräche mit Prominenten führen kann“. Die Antworten gebe aber die KI auf der Basis von Informationen, die jemand im Internet eingegeben habe. Sei es am Ende wirklich Schumi selbst gewesen, der aus dem Krankenbett die Informationen eintippte? Oder Angehörige, Pfleger oder Angestellte? - Fünf Personen beschweren sich darüber, dass die Zeitschrift den Anschein eines echten Interviews erwecke, auch wenn sie Hinweise auf ein KI-generiertes Gespräch gebe. Äußerst unethisch sei es, auf diese Weise Kapital aus der Prominenz einer mutmaßlich unheilbar kranken Person schlagen zu wollen. Ein Beschwerdeführer findet, dies sei das Geschmackloseste, das er seit Jahren in der Presse gelesen habe. Es müsse absolut verletzend für die Familie sein und auch respektlos gegenüber einem wehrlosen Kranken. Für Menschen, die sich die Zeitschrift nur wegen der Titelblatt-Schlagzeile gekauft hätten, sei dies mindestens arglistige Täuschung. Ein anderer Beschwerdeführer kritisiert zudem, dass die Redaktion fälschlich von einem „Interview“ spreche. – Die Zeitschrift weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass die Berichterstattung auch in der Redaktion und der Verlagsspitze heftige Diskussionen ausgelöst und zu harten Konsequenzen geführt habe. Die Chefredakteurin sei von ihren Aufgaben entbunden worden. Der Verlag habe öffentlich und in einem persönlichen Schreiben an die Familie Schumacher um Entschuldigung gebeten. „Dieser geschmacklose und irreführende Artikel hätte nie erscheinen dürfen.“ Er sei presseethisch nicht hinnehmbar, sowohl wegen des Missbrauchs von Schumacher als Verkaufsargument als auch wegen der Machart und des Inhalts. In keiner Weise entspreche er den journalistischen Standards, die die Leserschaft erwarte. Auch die Redaktion stehe vollkommen hinter der Erklärung des Verlages, und ohne jede Frage werde es eine vergleichbare Veröffentlichung nicht mehr geben. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus, denn hier liegt eine schwere Irreführung der Leserschaft und damit ein Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot nach Pressekodex-Ziffer 1 vor. Den Leserinnen und Lesern wird suggeriert, dass es sich tatsächlich um das erste Interview mit Schumacher handelt. Erst im letzten Drittel informiert die Redaktion deutlich darüber, dass die angeblichen Antworten von einer KI stammen. Das Vorgehen der Zeitschrift ist zudem geeignet, die Glaubwürdigkeit der Presse zu schädigen. Außerdem wird die Würde Michael Schumachers verletzt.