Gewaltopfer identifizierbar dargestellt
Boulevardzeitung verletzt Persönlichkeitsrechte der Beteiligten
Ein Mann besucht seinen Vater im Gefängnis. Bei dieser Gelegenheit sagt der Inhaftierte seinem Sohn, dass er ein Vergewaltiger sei und auch wegen eines versuchten Mordes einsitze. Eine Boulevardzeitung berichtet online über den Vorgang. Der Bericht enthält ein Foto von einem Polizeieinsatz. Darauf ist eine junge Frau zu sehen, die - in eine Decke gehüllt – vor einem Polizeiwagen steht. Die Bildunterschrift lautet: „Am Morgen des 12. Oktober 2019 wurde eine Studentin (20) gefesselt in einem Gebüsch gefunden. Sie wurde sofort ins Krankenhaus gebracht.“ Die Frau ist identifizierbar dargestellt. Der Beitrag enthält außerdem ein Foto der Frau des Inhaftierten mit ihrem Sohn. Hier lautet der Bildtext: „Idris (9) im Arm seiner Mutter Emine G. (33). Seit dem traumatischen Besuch im Gefängnis braucht der Drittklässler die Liebe seiner Mama mehr denn je.“ Eine Leserin und ein Leser der Zeitung wenden sich mit Beschwerden an den Presserat. Beide kritisieren, dass die Redaktion die Geschichte mit dem unverpixelten Foto eines Entführungsopfers bebildere. Die Berichterstattung verletze zudem die Persönlichkeitsrechte des Kindes durch dessen Abbildung. Im Bericht werde sein Vorname, der seines Vaters sowie seine Schulklasse genannt. Die Redaktion gibt zunächst keine Stellungnahme ab. Der Beschwerdeausschuss erneuert seine Aufforderung an die Zeitung, sich zu den Beschwerden zu äußern. Ihm geht es dabei um eine Antwort auf die Frage, ob eine Einwilligung der Beteiligten zur jeweiligen Fotoveröffentlichung vorgelegen habe. Die Rechtsabteilung des Verlages teilt mit, die Mutter des kleinen Jungen habe den Fotoveröffentlichungen ausdrücklich zugestimmt. Mutter und Sohn hätten auch ein unverfremdetes Fernsehinterview gegeben, das von mehreren Sendern ausgestrahlt worden sei. Eine Zustimmung zur Veröffentlichung des Fotos des inhaftierten Vaters sei nicht erforderlich gewesen, da es komplett anonymisiert worden sei. Der Verlag hält auch das Foto des Entführungsopfers für zulässig, da die Frau wegen der unscharfen Auflösung ebenfalls nicht erkennbar sei.