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Verhalten der Redaktion „unverantwortlich“

Zeitung schildert den Suizid einer Frau in allen Einzelheiten

Eine Großstadtzeitung berichtet online über eine Frau, die ihre Lebensaufgabe darin sieht, anderen Menschen hilfreich beizustehen und dafür das Bundesverdienstkreuz erhalten hat. Sie betäubt ihren Schwiegersohn, sticht auf ihn ein und nimmt sich dann das Leben. Die Redaktion versucht, die Tat zu rekonstruieren und will herausbekommen, wie es dazu kommen konnte. Der Beitrag beginnt mit der Schilderung des Suizids der Frau, der sich kurz vor ihrem Mordprozess ereignet. Wörtliche Passage: „Zu sterben, das ist ihre Art, das eigene Leben wieder in den Griff zu bekommen. Als (die Zeitung nennt den Namen) vier Tage vor dem Prozessauftakt in ihrer Zelle nur noch Stille und Dunkelheit umgeben, zieht sie sich ihr Nachthemd über, zerschlägt eine Vase, sucht sich die passende Scherbe aus, bevor sie die übrigen unter ihr Bett schiebt. Sie drapiert einen Briefumschlag unter ihrem Kissen, legt sich auf den Rücken, zieht die Bettdecke bis zum Hals, fasst darunter die Scherbe fest mit der rechten Hand und schneidet sich mit einem tiefen Schnitt die Arterienleiste auf.“ Ein Leser der Zeitung hält die Passage für nicht vereinbar mit der Ziffer 8, Richtlinie 8.7, des Pressekodex. Die Zeitung liefere eine detaillierte Suizid-Beschreibung, die in die Persönlichkeitsrechte der Frau eingreife. Die schon fast handwerkliche Beschreibung des Suizids sei nicht von öffentlichem Interesse. Der Beschwerdeführer weist auf die Gefahr hin, der Bericht könnte Nachahmer anregen, gleiches zu tun. Er spricht von einem unverantwortlichen Verhalten der Redaktion. Diese rechtfertigt den Beitrag. Sie verstehe den Sinn des Pressekodex so, dass die Angehörigen in der akuten Situation der Trauer geschützt werden sollen, die Pietät gegenüber dem verstorbenen Menschen gewahrt und Nachahmungen vermieden werden sollen. Alle diese Punkte würden durch den Artikel nicht verletzt.