Magazin: „Ungesundes Volksempfinden“
Rechtsvertretung sieht selbst die Grenzen der Polemik als ausgereizt an
„Gymnasium gegen Inklusion: Ungesundes Volksempfinden“ – so überschreibt die Online-Ausgabe eines Nachrichtenmagazins einen Kommentar. Darin geht es um die Klage der Leiterin eines Bremer Gymnasiums gegen die Unterrichtung von Kindern mit Handicaps an ihrer Schule. Der Autor vergleicht das Verhalten der Schulleiterin mit dem eines „Warlords im Schurkenstaat“. Sie missachte die Menschenrechte von Behinderten, in diesem Fall das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“, eine bindende UN-Konvention. Fünf Leser des Nachrichtenmagazins wenden sich mit einer Beschwerde an den Presserat. Sie sehen eine Beleidigung und Ehrverletzung der Schulleiterin durch den Vergleich mit einem Warlord und in der Aussage, dass sie die Menschenrechte missachte. Zudem werde sie durch den Hinweis auf das „gesunde Volksempfinden“ mit einer Nationalsozialistin verglichen. Die Frau werde als Befürworter der Rassentrennung dargestellt und gleichgesetzt mit Rassisten, Verbrechern und Völkermördern. Das Justiziariat des Nachrichtenmagazins weist darauf hin, dass es sich bei dem Beitrag um einen Kommentar handele, der die persönliche Haltung seines Verfassers zum Ausdruck bringe. Ein solcher Debattenbeitrag dürfe auch scharf formuliert sein und polarisieren. Dies umso mehr, wenn die Stimme wie in diesem Fall für eine besonders schutzbedürftige Minderheit erhoben werde. Eine Woche nach dem Erscheinen des Kommentars habe die Redaktion einem Publizisten und Pädagogen in Form einer Gegenrede die Gelegenheit eingeräumt, Stellung zu dem kritisierten Beitrag zu nehmen. Damit sei der Diskursfreiheit Genüge getan. Das Justiziariat weiter: Die Überschrift „Ungesundes Volksempfinden“ knüpfe zwar an den Terminus an, den das NS-Regime genutzt habe. Eine Gleichsetzung der vom Autor kritisierten Haltung mit den während der NS-Zeit unter diesem Begriff verübten Verbrechen vollziehe der Beitrag aber nicht. Dass der Kommentar sich personalisierend an der Schulleiterin abarbeite, sei von der Meinungsfreiheit gedeckt und von der Frau hinzunehmen. Die Rechtsvertretung räumt ein, dass mit einzelnen Formulierungen die Grenzen der Polemik ausgereizt worden seien.