Tötungsdelikt wegen verschmähter Liebe?
Zeitung hätte mutmaßlichen Täter nicht identifizierend darstellen dürfen
„Tötete Sandro, weil sie seine Liebe verschmähte?“ titelt die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung. Ein junger Mann werde verdächtigt, seine Nachbarin mit einem Messer erstochen zu haben. Wegen Totschlags sei ein Haftbefehl ergangen. Er habe gestanden, die junge Frau erstochen und ihre Leiche verbrannt zu haben. Nach Auskunft des Oberstaatsanwalts habe der mutmaßliche Täter die Leiche in einem Gebüsch abgelegt. Etwa 19 Stunden nach der Tat sei er zum Tatort zurückgekehrt, um die Leiche mit Hilfe eines Brandbeschleunigers anzuzünden. Dort sei die noch brennende Leiche der jungen Frau gefunden worden. Das Opfer habe nur aufgrund seiner DNA, seines Mobiltelefons und seiner Schuhe identifiziert werden können. Der mutmaßliche Täter und das Opfer werden von der Zeitung jeweils mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen und Alter genannt. Die Redaktion nennt den Beruf des Mannes. Auch die Mutter des Opfers wird mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen, Alter und einer Äußerung zu der Tat erwähnt. Dem Artikel sind fünf Fotos beigestellt. Eines zeigt das Opfer und den mutmaßlichen Täter im Porträt. Ein weiteres das Wohnhaus, in dem beide gewohnt hatten. Ein drittes Bild zeigt Vater, Mutter und kleinere Schwester des Opfers. Zwei weitere Fotos zeigen den Fundort der Leiche bzw. ein weiteres Porträtfoto des Opfers mit einem Trauerspruch. Ein Leser der Zeitung sieht in der Benutzung eines privaten Fotos des mutmaßlichen Täters, das sich die Autorin offensichtlich von dessen privatem Facebook-Account besorgt habe, einen Verstoß gegen die Richtlinie 8.1 des Pressekodex (Identifizierende Berichterstattung). Nach seiner Ansicht besteht dafür kein öffentliches Interesse. Die Rechtsabteilung der Zeitung steht auf dem Standpunkt, die außergewöhnlich schwerwiegende Tat habe eine identifizierende Berichterstattung gerechtfertigt. Das Foto des Opfers habe die Redaktion mit Zustimmung der Eltern veröffentlicht.