Von Mitschülerinnen verprügeltes Mädchen erneut zum Opfer gemacht
Zeitung schildert detailliert Misshandlungen und verwendet schlecht verpixeltes Foto
Eine Tageszeitung berichtet online über die Misshandlung eines 13-jährigen Mädchens durch deren Mitschülerinnen. Dabei veröffentlicht sie Screenshots aus einem YouTube-Video, das Zeugen bei der Misshandlung gefilmt hatten, ohne einzugreifen. Auf dem Titelfoto des Beitrags sind nur die Augenpartien des Opfers und der Tatbeteiligten verpixelt; in einer zusätzlichen Bildergalerie sind die Gesichter komplett unkenntlich gemacht. Im Text wird die Tat in allen Einzelheiten beschrieben und die entsetzte Mutter zitiert. - Der Beschwerdeführer sieht Verstöße gegen die Menschenwürde und den Opferschutz. Das Mädchen werde zu einem bloßen Mittel sensationeller Berichterstattung herabgewürdigt. Die 13-Jährige sei nur unzureichend verpixelt worden, so dass ihre Persönlichkeitsrechte verletzt würden. Die Zeitung habe das Opfer-Foto auch als Titelbild auf Facebook und Twitter verwendet. Durch das kleinere Bildformat verliere die knappe Verpixelung hier noch mehr an Wirkung. - Die Redaktion erläutert, der Vorfall sei in einem anderen Bundesland passiert. Das Video kursiere im Internet und habe bundesweit große Betroffenheit ausgelöst. Mit dem Bericht habe die Zeitung die Brutalität der Misshandlungen dokumentieren wollen. Zum Schutz des geschlagenen, getretenen und bespuckten Mädchens habe der zuständige Redakteur entschieden, keine kompletten Videoauszüge zu zeigen. Bei den ausgewählten Standbildern habe er nach bestem Gewissen das Gesicht des Kindes unkenntlich gemacht, obwohl die Angegriffene durch das Internetvideo bereits einem größeren Kreis bekannt sei. Er sei davon ausgegangen, dass das Opfer in dem gewählten Verpixelungsgrad nicht zu erkennen sei. Die Fotos sollten der Leserschaft dazu dienen, den Fall auch optisch einschätzen zu können, um sich einen umfassenden Gesamteindruck von der Gemengelage zu bilden. Sollte trotz dieses verantwortungsvollen Umgangs mit den Fotos das Mädchen zu erkennen gewesen sein, sei dies definitiv nicht beabsichtigt gewesen. Die Redaktion bedauere diesen Umstand sehr. - Der Beschwerdeausschuss spricht einstimmig eine öffentliche Rüge aus, weil die Berichterstattung über das öffentliche Interesse an dem Fall hinausgeht und die Grenze zur Sensationsberichterstattung nach Ziffer 11 Pressekodex überschreitet. Die detaillierte Schilderung der Misshandlung und das damit verbundene Leiden sind dazu geeignet, das Mädchen zum zweiten Mal zum Opfer zu machen. Hinzu kommt, dass die Betroffene auch trotz der Verpixelung für einen näheren Personenkreis und auf dem kleinen Teaser-Foto auch für einen weiteren Kreis erkennbar ist. Die Identität von Opfern ist laut Ziffer 8 jedoch in der Regel besonders zu schützen. Hier hätte die Redaktion die Folgen der Berichterstattung für die Betroffene sorgsamer abwägen müssen.