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Kindesmissbrauch im Detail geschildert

Zeitung übernimmt unbedacht Formulierungen aus Gerichtsmitteilung

Eine Lokalzeitung berichtet über einen bevorstehenden Strafprozess: Ein Großvater ist angeklagt, mehrfach seine damals elf- bis dreizehnjährige Enkelin sexuell missbraucht zu haben. Dabei schildert die Redaktion die vorgeworfenen Taten im Detail. - Die Rechtsanwältin des Mädchens beschwert sich beim Presserat, dass die Zeitung damit die schutzwürdigen Interessen des Kindes verletzt habe. Dies sei ein nicht zu rechtfertigender Eingriff in seine Privatsphäre. - Der Chefredakteur räumt ein, dass die Veröffentlichung ein Fehler gewesen sei. Die Details zum Tatvorwurf habe die Redaktion aus einer Pressemitteilung des Landgerichts übernommen. Der Autor des Berichts habe damit verdeutlichen wollen, dass es sich bei den Taten um vollendete Vergewaltigungen und nicht bloß um eine Bagatelle gehandelt habe. Dies wäre aber mit weniger spezifischen Formulierungen ebenfalls möglich gewesen. Nach Eingang der Beschwerde habe die Zeitung sofort die Online-Fassung des Berichts korrigiert. Er selbst, so der Chefredakteur, habe das Mädchen schriftlich um Entschuldigung gebeten und ihm (in Absprache mit der Anwältin) einen Warengutschein als Versuch einer zumindest symbolischen Wiedergutmachung geschickt. Zudem sei der Vorgang redaktionsintern nachbereitet worden. – Der Beschwerdeausschuss hält den Verstoß gegen publizistische Grundsätze für so schwerwiegend, dass er einstimmig eine öffentliche Rüge ausspricht. Die detaillierte Schilderung des Missbrauchs ist eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid und verstößt somit gegen Ziffer 11 des Pressekodex (Sensationsberichterstattung, Jugendschutz). Die Schilderung geht über das öffentliche Informationsinteresse hinaus und greift tief in den intimsten Persönlichkeitsbereich des Opfers ein. Das Mädchen wird in entwürdigender Lage dargestellt und ist zudem für einen weiteren Personenkreis erkennbar. Damit verstößt der Artikel auch gegen den Persönlichkeitsschutz nach Ziffer 8.