Das Opfer in einen Schrebergarten gelockt
Persönlichkeitsrechte und Prinzip der Unschuldsvermutung verletzt
„Horror-Stiefvater verhöhnt Mordopfer auf Facebook“ titelt die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung. Im Bericht geht es um den Mord an einer jungen Frau, den mutmaßlich ihr Stiefvater begangen hat. Der Bericht enthält ein Foto des Mannes, dessen Augenpartie von einem schwarzen Balken überdeckt ist. In das Bild ist eine Facebook-Statusmeldung kopiert. Dem Artikel zufolge gehört der angegebene Facebook-Name zu dem Verdächtigen. Am Beginn des Berichts heißt es: „Er lockte die hübsche Madeleine W. (23) in seinen Schrebergarten, dann fesselte und knebelte er die junge Mutter, begrub sie vermutlich lebendig neben der Laube.“ Ein Leser der Zeitung sieht den Pressekodex in zweifacher Hinsicht verletzt. Die Nennung des Facebook-Namens verletze Ziffer 8 (Persönlichkeitsrechte), weil auf der Facebook-Seite Bilder des Verdächtigen sowie Fotos von einem kleinen Mädchen zu sehen seien, bei dem es sich wahrscheinlich um die Tochter des Opfers handele. Ziffer 13 (Unschuldsvermutung) sei durch die Nennung des Facebook-Namens sowie das oben erwähnte Zitat verletzt. Die Rechtsabteilung der Zeitung verweist auf das erhebliche öffentliche Informationsinteresse, das der Fall ausgelöst habe. Der Tatverdächtige habe sich bereits zum Zeitpunkt des Mordes in einem laufenden Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs verantworten müssen. Nunmehr habe er im dringenden Verdacht gestanden, seine Stieftochter, mit der er zuvor ein Kind gezeugt habe, auf grausame Weise umgebracht zu haben. Der Fall sei von besonderer Grausamkeit gekennzeichnet gewesen. Entscheidend sei, dass der Tatverdächtige zum Zeitpunkt der Berichterstattung wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft gesessen habe, der Richter also von einem dringenden Tatverdacht ausgegangen sei. Die Ermittler hätten den Journalisten detailliert geschildert, wie der Verdächtige den Mord durchgeführt haben soll. Daher das wörtliche Zitat: „Nach der Tat zog er heimlich fünf Tage in seine Laube und vergrub seine Stieftochter. Danach betonierte er seelenruhig alles zu.“ Die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung und der die Persönlichkeit wahrenden Veröffentlichung seien nach alledem weder presserechtlich noch presseethisch zu beanstanden. Der Beschwerdeführer konzentriere sich – was die Ziffer 13 (Unschuldsvermutung) anbelangt – auf den einleitenden Satz des Artikels. Dieser gebe jedoch nur das wieder, was der Redaktion von einem der Ermittler wörtlich geschildert worden sei. Bei Feststellungen und Einschätzungen der Ermittlungsbehörden als privilegierter Quelle dürfe sich die Presse grundsätzlich auf deren Richtigkeit verlassen.