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Harsche Kritik presseethisch nicht zu beanstanden

Bundestagsabgeordnete sieht sich als Holocaust-Leugnerin diffamiert

Eine Regionalzeitung veröffentlicht im Nachgang zu dem Artikel „Bundeswehr soll sich heraushalten“ einen Leserbrief unter der Überschrift „Gleiche Stufe“. In der Einsendung heißt es unter anderem, Heike Hänsel von der Fraktion die Linke im Bundestag und andere Politiker versteckten sich bei der Beurteilung von Kriegsverbrechen hinter dem derzeit praktizierten Völkerrecht. „Deshalb tragen sie meiner Meinung nach auch persönlich Mitschuld an Mord, Vergewaltigung und Vertreibung von Frauen, Männern und Kindern in Syrien. Und wer wie Frau Hänsel dann noch die Verantwortung Assads an den Giftgasmorden leugnet, stellt sich auf die gleiche Stufe derer, die noch heute die Naziverbrechen verharmlosen oder gar verleugnen.“ Beschwerdeführerin in diesem Fall ist die genannte Bundestagsabgeordnete. Sie meint, der Leserbrief beinhalte falsche Behauptungen, diffamiere sie persönlich und stelle sie mit Holocaustleugnern auf eine Stufe. An die Chefredaktion habe sie unter anderem geschrieben: „Erstens: Ich habe keinen Giftgasangriff geleugnet, sondern mich auf die Ergebnisse der internationalen Organisation OPCW bezogen, die im Fall des syrischen Douma, worauf es ja im Frühjahr bereits einen ´Vergeltungsschlag´ der USA, Frankreichs und Großbritanniens gab, bis heute nicht klären konnten, wer für den Einsatz von Chemiewaffen verantwortlich war. Dies ist der international korrekte Stand der Dinge und nicht meine persönliche Meinung. Dies auf eine Stufe mit dem Leugnen des Holocaust zu stellen, ist nicht nur mir gegenüber diffamierend und mehr als beleidigend sondern es ist auch eine unverantwortliche Verharmlosung des Mordes an mehr als sechs Millionen Juden in Europa, und von daher rechtes Gedankengut.“ Der Chefredakteur der Zeitung weist darauf hin, dass die Redaktion seit Jahrzehnten täglich eine bis zu drei Seiten mit Leserbriefen veröffentliche. Dabei werde einem breiten Meinungsspektrum Raum gegeben. Man halte sich dabei an die rechtlichen Vorgaben. Das bedeute, dass keine falschen Tatsachenbehauptungen und Beleidigungen vorkommen dürften. Im Zweifelsfall – etwa wie diesem – lege man das liberal aus. Der Leserbriefschreiber spricht von der „Mitschuld“ der Bundestagsabgeordneten und relativere diese Aussage durch den Hinweis „Meiner Meinung nach“. Die Beschwerdeführerin sei nicht so sachlich, wie sie sich selbst darstelle. Seit Jahren nehme sie sehr einseitig und heftig und auch im Bundestag Stellung bei Menschenrechtsverletzungen. Die einen (Westen) kritisiere sie scharf, die anderen (im früheren Ostblock) verharmlose sie. Der Chefredakteur schließt seine Stellungnahme mit dem Hinweis, die Bundestagsabgeordnete wehre sich gegen Antisemitismus-Vorwürfe, verschweige aber eine Vorgeschichte: Das Simon-Wiesenthal-Zentrum habe sie Ende 2014 auf seine Antisemitismus-Liste gesetzt.