Zeitung nennt ethnische Zugehörigkeit
Meinungen über die Leitsätze zur Kodexziffer 12 gehen auseinander
Eine Großstadtzeitung berichtet unter der Überschrift „Erneut Sex-Attacken in S-Bahn – zwei Täter geschnappt“ über Vorfälle in Berliner S-Bahnen. In einem Fall habe ein 33-jähriger Bulgare irrtümlich angenommen, von einer mitfahrenden Frau fotografiert worden zu sein. Nach kurzem Wortgefecht habe der Mann plötzlich seine Hose heruntergezogen und die Frau (47) aufgefordert, nun auch davon ein Foto zu machen. Im zweiten Fall habe ein 40-jähriger Bosnier seiner 24-jährigen Sitznachbarin plötzlich seine Hand unter den Rock geschoben. Ein Leser der Zeitung kritisiert, die Nennung der Nationalitäten führe zu diskriminierenden Verallgemeinerungen individuellen Fehlverhaltens. Bei der Benennung des mutmaßlichen und hier erstgenannten Täters als „Exhibitionist“ liege möglicherweise ein Verstoß gegen die Richtlinie 13.1 (Vorverurteilung) vor. Die Chefredakteurin wehrt sich gegen den Vorwurf, die Redaktion habe presseethische Grundsätze verletzt. Im vergangenen Jahr sei es in den öffentlichen Verkehrsmitteln Berlins zu knapp 300 sexuellen Beleidigungen, Belästigungen und Übergriffen gekommen. Zahlreiche Medien hätten über die sich häufenden Angriffe berichtet. Den Medien sei zu entnehmen, dass die meisten Verdächtigen ausländischer Herkunft seien. Sie kämen vermehrt aus Rumänien oder Bulgarien. Aus den Praxisleitsätzen zur Richtlinie 12.1 ergebe sich, dass die Ziffer 12 und die dazugehörige Richtlinie 12.1 kein grundsätzliches Verbot beinhalten, die Zugehörigkeit von Straftätern und Verdächtigen zu Minderheiten zu erwähnen. Sie selbst – als Chefredakteurin - verpflichte jedoch ihre Redaktion, in jedem einzelnen Fall verantwortungsbewusst zu entscheiden, ob für die Nennung einer Gruppenzugehörigkeit ein begründetes öffentliches Interesse vorliege. So könne für ein begründetes öffentliches Interesse unter anderem sprechen, dass Gegenstand der Berichterstattung selbst der Zusammenhang zwischen Form oder Häufigkeit einer Straftat und der Gruppenzugehörigkeit von Tätern oder Verdächtigen ist. Deshalb sei – so die Chefredakteurin – die Nennung der Nationalität in den beiden nunmehr kritisierten Fällen zulässig.