Zeugen Jehovas als "Menschenfänger"
Entscheidung: unbegründet
Ziffer: 2
Der Fall: „Deutsche Bahn genehmigt Aktionen der Zeugen Jehovas“ titelt eine Boulevardzeitung online. Die Dachzeile lautet: „Expertin schlägt Alarm“. Im Beitrag geht es um Werbeaktionen der Zeugen Jehovas in Bahnhöfen mit Genehmigung der Deutschen Bahn. „Die neue Taktik der Menschenfänger“, schreibt die Redaktion. Zitiert werden die Bahn, eine Sektenexpertin und der Leiter der Arbeitsstelle Weltanschauung der evangelischen Landeskirche. Sektenexpertin ist Margit Ricarda Wolf, über die es im Artikel heißt, dass sie selbst 16 Jahre lang Mitglied bei den Zeugen Jehovas gewesen sei.
Ein Leser der Zeitung kritisiert die Verwendung des Begriffs Sekte. Die Zeugen Jehovas seien eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die selbst ernannte Expertin sei nicht objektiv. Durch ihre Behauptungen, die Zeugen Jehovas betrieben Psychoterror und beuteten ihre Mitglieder finanziell aus, glaube der Leser, dass es sich wirklich um eine gefährliche Organisation handele. Dem Beschwerdeführer zufolge gebe es bei den Zeugen Jehovas nur freiwillige Spenden. Der Artikel wiegele die Menschen gegen die Zeugen Jehovas auf.
Die Redaktion: Der Chefredakteur weist die Vorwürfe zurück. Der Begriff „Sekte“ sei weder staatsrechtlich noch religionswissenschaftlich definiert. Die bewertende und als Meinungsäußerung einer presseethischen Überprüfung ohnehin nicht zugängliche Bezeichnung der Glaubensgruppe der Zeugen Jehovas als „Sekte“ müsse im Zeichen der Meinungsäußerung immer zulässig sein. Die Redaktion thematisiere die fragwürdige Genehmigung der Deutschen Bahn von Aktionen der Zeugen Jehovas. Die Redaktion lasse nicht nur die Kritiker zu Wort kommen, sondern auch die Deutsche Bahn, die ihre Motive für die Aktion erläutere. Vor diesem Hintergrund könne sich der Leser ein eigenes Bild des Vorgangs machen.
Der Presserat: Die Beschwerde ist unbegründet. Die Redaktion ordnet die Vorgänge um die Deutsche Bahn und die Zeugen Jehovas ein und bewertet diese kritisch. Für den Leser wird ausreichend deutlich, dass es sich bei den zitierten Experten um die Meinungen eines ehemaligen Mitglieds der Zeugen Jehovas sowie eines Pastors der evangelischen Landeskirche handelt. Die Redaktion lässt nicht nur die Kritiker zu Wort kommen, sondern auch die Deutsche Bahn. Vor diesem Hintergrund kann sich der Leser ein eigenes Bild des Vorgangs machen. Den Begriff „Sekte“ hält der Ausschuss für akzeptabel – auch wenn sich die Zeugen Jehovas anders sehen. Der Sektenbegriff ist weitgefasst. Es gibt hierzu keine rechtsstaatliche Definition. Es muss im Übrigen möglich sein, jede Religionsgemeinschaft kritisch zu hinterfragen. Das gilt auch für die Zeugen Jehovas, bei denen Hinweise auf problematische Methoden im Umgang mit den Mitgliedern im Raum stehen.