Manifest des Hanau-Attentäters ist von öffentlichem Interesse
Redaktion zeigt Auszüge aus dem Täter-"Manifest"
Entscheidung: unbegründet
Ziffer: 11
Der Fall: Eine Boulevardzeitung veröffentlicht unter der Überschrift „Das groteske Manifest des Hanau-Terroristen“ einen Bericht und Ausschnitte aus einem Video des Attentäters, in dem er vor laufender Kamera seine Weltsicht und Wahnfantasien beschreibt. Ein Reporter analysiert das Video und vermutet, dass der Attentäter unter paranoider Schizophrenie bzw. Narzissmus leide. Am Schluss vergleicht der Reporter den Täter von Halle (dessen Selfie gezeigt wird) mit dem von Hanau.
Der Attentäter von Halle sei in eine Internetkultur eingebettet gewesen und habe sich als Teil einer Bewegung gefühlt, während bei dem Hanau-Attentäter die klinischen Krankheitsanteile überwögen, so der Reporter. Zwei User sehen einen Verstoß gegen die Ziffer 11 des Pressekodex, weil das Manifest des Täters von Hanau auf der Titelseite regelrecht präsentiert werde. Die Redaktion biete dem Täter die Bühne, die er gesucht habe.
Die Redaktion: Nach Auffassung des Chefredakteurs handelt es sich bei der auszugsweisen Veröffentlichung aus dem „Manifest“ des Hanau-Terroristen um eine nachrichtlich aufbereitete Schilderung der Hintergründe eines schrecklichen Terrorattentats, an dem selbstverständlich ein überragendes öffentliche Interesse bestehe. Die Straftat werde durch die Berichterstattung weder nachträglich gerechtfertigt noch relativiert. Die Redaktion zitiere die Einschätzungen des Attentäters, dazu würden rassistische Bezüge des „Manifests“ wiedergegeben, aber sogleich als „rassistischer Hass“ und „klassische rassistische Argumentationsmuster“ eingeordnet.
Die Berichterstattung liefere tiefe Einblicke in das Weltbild des Hanau-Attentäters und ermögliche so eine Einordnung in Tat und Täter. Kurzum sei die Redaktion ihrem Informationsauftrag nachgekommen, die Nutzer hätten ein Recht darauf, auch von der rassistischen Gesinnung des Attentäters zu erfahren. Durch die bloße Einordnung als Rassismus finde keinerlei „Rechtfertigung“ oder „Relativierung“ der Tat statt. Erkennbar würden die Opfer durch die Berichterstattung nicht unangemessen belastet und es liege auch keine sensationsgetriebene Berichterstattung vor.
Der Presserat: Der Beschwerdeausschuss erkennt in der auszugsweisen Veröffentlichung des „Hanau-Manifests“ keinen Verstoß gegen Ziffer 11 des Pressekodex. An den Hintergründen und Motiven der Tat und des Täters bestand zweifellos ein überragendes Interesse. Die Redaktion hat im streitgegenständlichen Video die Weltsicht des Attentäters dargestellt und eingeordnet. Dabei verwendet sie zwar Video-Material des Täters, anhand dessen er seine Ansichten bis ins Detail präsentiert.
Die Redaktion gibt dem Täter aber keine Bühne, sondern ordnet seine Behauptungen und Ansichten klar als realitätsfern bzw. psychisch gestört ein, weswegen sie sich auch nicht zu seinem Werkzeug nach Richtlinie 11.2 des Pressekodex macht. Weder präsentiert der Täter hier unkommentiert rassistische oder gewaltverherrlichende Weltbilder noch wird er bei der Tatausführung gezeigt. Die Darstellung ist damit nicht unangemessen sensationell, sondern von einem berechtigten öffentlichen Interesse gedeckt. (Aktenzeichen: 0185/20/2)