Tim K. mit Kampfanzug im Klassenzimmer
Amokläufer von Winnenden in einer Heldenpose gezeigt
Eine Boulevardzeitung berichtet unter der Überschrift „Seid ihr immer noch nicht tot?“ einen zweiseitigen Beitrag über den Amoklauf von Winnenden. Darin wird der Ablauf der schrecklichen Tat im Protokollstil geschildert. Auf beigestellten Bildern sind Schüler einer benachbarten Schule zu sehen. Bildtext: „Sie sind dem Unglück entkommen: Schüler einer benachbarten Schule stehen am Fenster, sind betroffen und geschockt.“ Auf einem anderen Foto ist eine abgedeckte Leiche zu sehen, offenbar die eines Gärtners, der vom Amokschützen erschossen wurde. Ein anderes Foto zeigt ein Opfer, das im Bildtext als Autohändler Dennis P. bezeichnet wird. Aufmacherfoto ist eine ganzseitige Fotomontage des Todesschützen Tim K. Auf zwei weiteren Seiten stellt die Zeitung die Frage „Wie wurde so ein netter Junge zum Amokschützen?“ Dargestellt ist ein fiktives Klassenzimmer, in das Tim K. mit Waffe und schwarzem Kampfanzug hineinkopiert worden ist. Er schießt gerade auf eine Lehrerin. Bildunterschrift: „So sieht der …-Zeichner den Amoklauf in einem der Klassenzimmer: Offenbar schoss Tim K. gezielt auf Mädchen und Lehrerinnen. Der Beitrag ist mit vier Fotos getöteter Mädchen bebildert. Ein Leser sieht einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex (Nennung von Namen/Abbildungen). Die Zeitung nehme keinerlei Rücksicht auf die Identität der Opfer. Für die Leser seien die von den späteren Opfern wohl selbst ins Internet gestellten Fotos nicht relevant. Die Bilder erlaubten einen Rückschluss auf die Identität der Getöteten. Die Rechtsabteilung der Zeitung hält die Berichterstattung in all ihren Darstellungsformen wegen des außerordentlich hohen Informationsinteresses der Öffentlichkeit durchweg für gerechtfertigt. Die Redaktionen der Print- und Online-Ausgabe hätten verantwortungsbewusst berichtet. Die Presse habe der Öffentlichkeit die im Zusammenhang mit der Tat entstandenen Fragen beantworten müssen. Die notwendige Abwägung mit den Persönlichkeitsrechten und die Prüfung der Fakten seien gewissenhaft vorgenommen worden. Die Grenze zur unzulässigen Darstellung sei nicht überschritten worden. Die Zeitung beruft sich auf die Sichtweise einiger betroffener Eltern, die sich in einem offenen Brief an Regierung und Öffentlichkeit dafür eingesetzt hätten, etwas in der Gesellschaft zu verändern, damit es kein zweites Winnenden geben werde. Bei den Fotos der abgebildeten Opfer seien in der konkreten Darstellungsweise die berechtigten Interessen der Abgebildeten gewahrt worden. Sie zeigten die Opfer nicht in hilfloser oder in anderer Weise entwürdigenden Position. (2009)