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Voreilige Bewertung der Indizienlage

Anklagevorwürfe wurden zum Teil im Indikativ formuliert

Unter der Überschrift „Mit den Falschen angelegt“ berichtet eine Regionalzeitung über einen Prozess, der am Erscheinungstag, also nach der Veröffentlichung, vor dem Landgericht stattfindet. Die Verfasserin berichtet über den Inhalt der Anklageschrift. Dabei verwendet sie nicht durchgängig den Konjunktiv, sondern formuliert die Anklagevorwürfe zum Teil auch im Indikativ. Am Ende stellt die Autorin fest: „Selbst wenn es in beiden Fällen acht zu zwei steht, die Indizien sprechen eine eindeutige Sprache“. Der Beschwerdeführer vertritt als Anwalt einen der acht Angeklagten. Er hält den Beitrag für vorverurteilend. Insbesondere wendet er sich gegen die vorweggenommene Bewertung der Indizienlage durch die Journalistin. Hierdurch werde der Verpflichtung zur Unschuldsvermutung nicht Rechnung getragen. Der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung hält die Vorwürfe für unbegründet. Der Unschuldsvermutung sei in vollem Umfang Genüge getan worden, da die Verdächtigen anonymisiert worden seien. Daher habe gegenüber keinem der acht Angeklagten eine Vorverurteilung stattgefunden. Die Kritik an einer Berichterstattung vor Beginn der Hauptverhandlung erscheine befremdlich und lebensfern, da dies doch anerkannte Praxis sei. (2008)