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Harte Vorwürfe gegen eine Redaktion

Leser spricht von Zynismus, Geschmacklosigkeit und Sensationsgier

Die Online-Ausgabe einer überregionalen Zeitung berichtet über das Verhalten der Lehrer beim Amoklauf in Winnenden. Diese sollen trotz ihrer eigenen Verletzungen versucht haben, die Kinder zu schützen. Außerdem befasst sich die Redaktion mit der psychologischen Betreuung der Schüler. Zum Beitrag gehört eine Fotostrecke mit 13 Bildern. Diese zeigen Trauerszenen vor der Albertville-Realschule in Winnenden sowie Motive von der Beerdigung eines Opfers auf dem städtischen Friedhof. Ein Leser der Zeitung kritisiert den Abdruck von Beerdigungsfotos. Die Veröffentlichung sei gegen den ausdrücklichen Wunsch der Trauernden geschehen. Er sieht darin gleich mehrere presseethische Grundsätze verletzt. Der Beschwerdeführer kritisiert auch die Veröffentlichung von Fotos mit Schildern, auf denen zu lesen ist „Film- und Fotografierverbot“ und „Lasst uns in Ruhe trauern“. Es sei eine provokante Pietätlosigkeit, dass die Online-Ausgabe Großaufnahmen mit Sarg, Sargträgern und Trauergästen veröffentlicht habe. Die Chefredaktion der Zeitung führt Richtlinie 8.1 des Pressekodex an, wonach die Nennung von Namen und die Abbildung von Opfern in der Regel nicht gerechtfertigt seien. Der Amoklauf von Winnenden sei aber nicht die Regel, sondern die Ausnahme, von der auch Richtlinie 8.1 implizit ausgehe. Die Erschütterung, die der Amoklauf in Gesellschaft und Politik ausgelöst habe, mache die Berichterstattung über Tat, Täter und vor allem Opfer zu einem unerlässlichen Beitrag für die öffentliche Meinungsbildung. Dies gelte auch für die Diskussion über schärfere Waffen- und Jugendschutzgesetze. Die Chefredaktion nimmt die Kritik an ihrer Berichterstattung sehr ernst. Sie weist jedoch mit Nachdruck die Unterstellung des Beschwerdeführers zurück, die Redaktion habe die Fotos aus Zynismus, Geschmacklosigkeit, Sensationsgier, Pietätlosigkeit und mangelndem Respekt vor dem Leid der Angehörigen veröffentlicht. Die Redakteure hätten vor Ort sensibel recherchiert. Die Kollegen in der Redaktion verantwortungsbewusst und professionell gearbeitet. Fehler würden sich weder im Alltagsgeschäft noch in Ausnahmesituationen nie ganz vermeiden lassen. Dabei jedoch automatisch niedere Beweggründe anzunehmen, grenze an Medienfeindlichkeit. (2009)