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„Zitat“ steht für eine Geisteshaltung

Äußerung in Anführungszeichen wird keiner Person zugeschrieben

Unter der Überschrift „Prügel für die Geprügelten“ beschäftigt sich ein Nachrichtenmagazin mit dem Video-Kommentar des Feuilletonchefs einer Wochenzeitung. Darin war es um den Überfall zweier junger Männer auf einen 76-jährigen Pensionär in einem Münchner U-Bahnhof gegangen. Das Nachrichtenmagazin reißt den Beitrag auf der Titelseite mit dem Hinweis an: „Die Opfer sind selbst schuld – Wie die Wahrheit auf den Kopf gestellt wird“. Ein Leser ist der Auffassung, dass der Satz auf der Titelseite „Die Opfer sind selbst schuld“ wie ein Zitat wirkt. Beim Leser entstünde dadurch der falsche Eindruck, als habe der Feuilletonchef dies so gesagt. In Wirklichkeit handele es sich jedoch um eine Interpretation des Kommentars durch das Nachrichtenmagazin. Dessen Chefredakteur hält die Einschätzung des Beschwerdeführers, der Kommentator habe den fraglichen Satz nicht geäußert, für richtig. Eine solche Äußerung werde ihm auch gar nicht zugeschrieben. Die auf der Titelseite erschienene Äußerung in Anführungszeichen werde keiner Person zugeordnet. Der Satz über die Opfer, die selbst schuld seien, solle für die in dem angekündigten Beitrag kritisierte Geisteshaltung stehen. Es handele sich – so der Chefredakteur – um ein „Symbolzitat“, ein Destillat aus einer Mehrzahl von Äußerungen in diesem Tenor. Wer den Artikel lese, erfahre genau, was der Feuilletonchef gesagt habe. Die Redaktion habe auf der Titelseite schlagwortartig kennzeichnen wollen, mit welcher Geisteshaltung sich der Artikel im Innern auseinandersetze. Dabei habe sie den Satz „Die Opfer sind selbst schuld“ nicht ohne Anführungszeichen schreiben können, weil sie diese Auffassung ja gerade nicht vertrete. Die Leser erwarteten hier auch keine Zitattreue. In Schlagzeilen und Überschriften sei es erlaubt, eine eigene Interpretation in Anführungszeichen zu setzen und sie damit einem Dritten zuzuschreiben, selbst wenn die Äußerung so nicht wörtlich gefallen ist. (2008)