Leserbrief als „unerträglich“ bezeichnet
Redaktion antwortet auf eine Einsendung, die ihr nicht gefällt
Ein Magazin bringt einen Leserbrief, der sich mit dem Titelbild des Blattes in einer vorangegangenen Ausgabe beschäftigt. Auf diesem war eine halbnackte Frau mit der Überschrift zu sehen: „Schöner Schein – die Illusion vom Wohlfahrtsstaat“. Die Leserbrief-Schreiberin moniert, dass das Titelbild unerträglich frauenfeindlich sei und das ansonsten seriöse Blatt disqualifiziere. Die Schreiberin fragt, ob das Blatt nur Männer zu seinen Lesern zähle, die es mit dem Grundsatz „Sex sells“ ködern wolle. Darauf antwortet die Redaktion mit einer Anmerkung zu dem Leserbrief. Sie spricht die Einsenderin mit ihrem Titel „Diplom-Ingenieurin“ an und bezeichnet deren Einsendung als unerträglich und „unsubstantiiert“. Auch fragt sie, was die Leserbrief-Schreiberin unter „frauenfeindlich“ verstehe. Die Antwort der Redaktion besteht zum Teil aus wörtlichen Zitaten aus dem ursprünglichen Leserbrief, die in die Form der Antwort gekleidet werden. Die Beschwerdeführerin, die den Deutschen Presserat anruft, ist der Ansicht, die Anmerkungen der Redaktion zu ihrem Leserbrief seien ehrverletzend. Das gehe schon los mit der sarkastischen Anrede „Frau Diplom-Ingenieurin“. Insgesamt werde ihr Brief als Schwachsinn bezeichnet. Wörtlich steht in der Anmerkung: „Ich werde mich in unserem Haus dafür einsetzen, solchen Schwachsinn künftig nicht mehr kommentieren zu müssen.“ Die Frau sieht auch eine Diskriminierung wegen ihres Geschlechts nach Ziffer 12 des Pressekodex. Die Geschäftsführerin des Magazins und der verantwortliche Redakteur stellen zu der Beschwerde fest, die Anrede hebe den Sachverstand der Angesprochenen hervor, sofern man einen akademischen Grad mit Sachverstand gleichsetzen könne. Das Blatt habe diesen nicht in Frage gestellt. Den Vorwurf der Ehrverletzung weist die Redaktion zurück. Den Vorwurf der Diskriminierung hält die Redaktion für absurd. Er sei von der Beschwerdeführerin auch nicht weiter begründet worden. Die Redaktion beruft sich auf die Meinungsfreiheit. Im vorliegenden Fall habe der Autor der Anmerkung zum Leserbrief nicht entfernt die vom Bundesverfassungsgericht zugestandenen Möglichkeiten ausgeschöpft. Abschließend äußert die Redaktion die Befürchtung, eine Maßnahme des Presserats gegen das Magazin könne zur Folge haben, dass kein Journalist in Deutschland mehr wage, eine feminismuskritische Meinung zu veröffentlichen. (2006)