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„Von ´Sensationsheische´ keine Rede“

Chefredakteur: Kritisiertes Foto von Dokumentationsabsicht gedeckt

Unter der Überschrift „Wir stehen unter Schock“ berichtet eine Regionalzeitung über das Unglück in Grevenbroich, bei dem fünf Arbeiter ums Leben gekommen waren [Zahl später auf drei korrigiert]. Dem Artikel ist ein Foto mit der Bildunterschrift „Ein toter Arbeiter hängt an seinem Sicherheitsgurt“ beigestellt. Der Mann ist seitlich von hinten zu sehen. Ein Ehepaar und zwei weitere Leser sind der Ansicht, dass die Abbildung des toten Arbeiters unangemessen sensationell ist (Ziffer 11 des Pressekodex), die Menschenwürde des Menschen missachtet (Ziffer 1) und auch seine Intimsphäre (Ziffer 8) verletzt. Die Art der Berichterstattung sei abstoßend und beleidige nicht nur den Toten, sondern auch seine Verwandten und Freunde. Ein Beschwerdeführer spricht davon, dass „die Würde dieses bedauernswerten Menschen mit Füßen getreten als auch auf die Trauer der Hinterbliebenen keine Rücksicht genommen“ werde. Und weiter: „Es wird lediglich zur Steigerung der Auflage einer immer weiter um sich greifenden Sensationsgier Vorschub geleistet“. Ein anderer schreibt: „Das Foto hätte so nicht veröffentlicht werden dürfen und die Abbildung ist mit der Informationspflicht des Mediums Tageszeitung nicht zu rechtfertigen.“ Für den Chefredakteur der Zeitung stand bei der Veröffentlichung „die Dokumentationsabsicht im Vordergrund“. Angesichts der Berichterstattung im Innern des Blattes könne keine Rede von Auflage steigernder „Sensationsheische“ sein. An Stelle einer ausführlichen Stellungnahme legt er seiner Antwort auf die Beschwerde eine Leserbriefseite bei, die nach der Berichterstattung über das Unglück erschien. Die Leserbriefschreiber kritisierten den Abdruck des Fotos. In einer Anmerkung der Redaktion auf dieser Seite heißt es: „Die Veröffentlichung des Fotos mit dem toten Arbeiter glaubte die Redaktion verantworten zu können, um die ungewöhnliche, die schreckliche Dimension des Unglücks von Grevenbroich zu verdeutlichen. Zur Informationsaufgabe der Presse gehört auch die Dokumentation von Tod und Leid. (…) Dennoch können wir in diesem Fall die Kritik unserer Leser nachvollziehen, weil ein einzelnes Opfer so exponiert zu sehen war (…)“. (2007)