Deutschen Jungen im türkischen Gefängnis interviewt
Genehmigung durch Eltern oder Anwälte presseethisch nicht relevant
Eine Boulevardzeitung berichtet unter den Überschriften „Zum 1. Mal spricht der Junge im Türkenknast“ und „Marco (17), der deutsche Junge im Türken-Knast“ über den 17-jährigen Deutschen Marco W., der in der Türkei in Untersuchungshaft saß. Ihm wird vorgeworfen, eine 13-jährige Engländerin sexuell belästigt zu haben. Die Zeitung hat einen türkischen Journalisten beauftragt, Marco W. im Gefängnis zu interviewen. Beide Beiträge sind mit Fotos des inhaftierten Jungen illustriert. Ein Blogger sieht Verstöße gegen die Ziffern 4 und 13 des Pressekodex. Die in Richtlinie 13.3 formulierte besondere Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Ermittlungsverfahren gegen Jugendliche sei nicht beachtet worden. Eine Einwilligung der Eltern habe nicht vorgelegen. Die Extremsituation des Jungen sei von der Zeitung ausgenutzt worden. Damit liege ein Verstoß gegen die Richtlinie 4.2 vor, in der es um die Recherche bei schutzbedürftigen Personen gehe. Die Rechtsabteilung der Zeitung weist die Vorwürfe zurück. Die angegriffenen Berichterstattungen seien von dem Willen getragen gewesen, dass „die Öffentlichkeit aufmerksam wird und das Verfahren (…) in der Türkei aufmerksam verfolgt.“ Die vom Beschwerdeführer ins Feld geführten Richtlinien 4.2 und 13.3 des Pressekodex umschrieben die Grundsätze und Grenzen von Recherche und Berichterstattung zutreffend. Die Rechtsabteilung beruft sich jedoch auf eine Ausnahmesituation im Fall Marco W.. Ohne die Berichterstattung hätte die Öffentlichkeit gar nicht in dem gewünschten Maße Anteil am Schicksal des Jungen genommen. Die deutsche Öffentlichkeit habe erst durch die Berichterstattung der Boulevardzeitung das Geschehen um Marco W. aufmerksam verfolgt, und auch die Politik habe sich eingeschaltet. (2007)