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Menschenwürde einer Schauspielerin

Hauptdarstellerin eines Films mit ihren Rollen identifiziert

In mehreren Beiträgen beschäftigt sich eine Boulevardzeitung mit den Hauptdarstellern eines Films, der anlässlich der Berlinale 2004 mit einem “Goldenen Bären” ausgezeichnet worden ist. Unter der Überschrift “Deutsche Film-Diva in Wahrheit Porno-Star” wird über die Vergangenheit der bejubelten Schauspielerin berichtet und mitgeteilt, sie habe ihr Filmhandwerk in Hardcore-Pornos gelernt. Die Zeitung wartet mit Details auf, zeigt entsprechende Szenen im Bild. In einem weiteren Beitrag unter der Schlagzeile “Eltern verstoßen sündige Film-Diva” wird gemeldet, dass die Eltern der Schauspielerin entsetzt seien und sich von ihrer Tochter abwenden. Unter der Überschrift “Nach Porno-Skandal neuer Berlinale-Schock: Zärtlicher Film-Held im wahren Leben vorbestraft” enthüllt die Zeitung schließlich, dass auch der männliche Hauptdarsteller in dem preisgekrönten Film eine zwielichtige Vergangenheit habe. Die deutsche Staatsanwaltschaft habe gegen den Schauspieler zahlreiche Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Schauspieler sei schon mehrmals verurteilt worden. Eine Medienwissenschaftlerin führt Beschwerde beim Deutschen Presserat. Sie belegt ihren Vorwurf einer diskriminierenden Berichterstattung mit einer umfänglichen wissenschaftlichen Analyse. Regisseur, Schauspieler und Schauspielerin würden in erheblicher Weise in ihren Persönlichkeitsrechten und in ihrer Menschenwürde verletzt sowie in rassistischer und sexistischer Weise diskriminiert. Die Rechtsabteilung der Zeitung weist den Vorwurf einer sexistischen und rassistischen Berichterstattung zurück. Er erscheine angesichts der näheren Umstände geradezu aberwitzig. Die Schauspielerin habe zwölf Pornofilme gedreht. Ferner gebe es mindestens zwei Bildbände sowie Kalender mit Aktaufnahmen von ihr. Es sei also keineswegs so, dass irgendjemand die Intim- oder Persönlichkeitssphäre der Betroffenen verletzt hätte. Vielmehr habe die Schauspielerin ihre Haut selbst auf den Markt getragen. Wer Pornos drehe, die am Markt frei erworben werden können, wolle keine Intimsphäre, sondern das Gegenteil. Als der nun ausgezeichnete Film in Berlin aufgeführt worden sei, habe der Regisseur seine Hauptdarstellerin als eine “Neuentdeckung” vorgestellt, die noch nie vor einer Kamera gestanden habe und per Zufall beim Einkaufen entdeckt worden sei. All dies habe sich als eine PR-Lüge erwiesen. Erst die Boulevardzeitung habe die zahlreichen Unwahrheiten aufgedeckt. Die Überprüfung und Korrektur unwahrer Behauptungen gehöre zu den zentralen Aufgaben der Medien. Eine ordnungsgemäße Recherche habe auch im Falle des männlichen Hauptdarstellers stattgefunden. Zusammenfassend lasse sich feststellen, dass die Redaktion ein Thema von großem öffentlichen Interesse sauber recherchiert und weder bewusst falsch noch diskriminierend berichtet habe. (2004)