…als ob die Vorwürfe bewiesen wären
Zeitung berichtet im Indikativ über bevorstehenden Prozess
Eine Regionalzeitung berichtet mit einem Anreißer auf der Titelseite und einem ausführlichen Beitrag im Innenteil des Blattes, dass dem ehemaligen Chef einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Strafverfahren drohe. Die Staatsanwaltschaft werfe ihm 30 Straftaten vor. Einige der Vorwürfe werden detailliert geschildert. Im Text heißt es, das „Treiben“ des Mannes lasse sich nur als „clever und kriminell“ beurteilen. Der Text ist überwiegend im Indikativ formuliert. Der Angegriffene wehrt sich mit Hilfe seines Anwalts. Die Zeitung habe so berichtet, als seien die Vorwürfe gegen ihn bereits erwiesen. Durch die Verwendung des Indikativs werde bei den Lesern der Eindruck erweckt, als habe sich alles zweifelsfrei so ereignet, wie es die Zeitung berichtet. Dabei seien zahlreiche Vorwürfe – der Beschwerdeführer listet sie auf – unzutreffend. Der Beitrag sei insgesamt vorverurteilend und damit rufschädigend und ehrverletzend. Der Chefredakteur der Zeitung räumt ein, dass der Autor des Beitrages den Beschwerdeführer im Text vorverurteilt habe. Andererseits werde schon im Vorspann deutlich, dass die Gerichtsverhandlung noch bevorstehe. Er weist den Vorwurf zurück, der Autor habe als einzige Quelle den Gesellschafter der geschädigten Firma genutzt. In Wahrheit habe sich die Zeitung auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft gestützt. Diese Quelle sei jedoch absichtlich nicht genannt worden, um den Informanten zusätzlich zu schützen. Statt die Anklageschrift als Quelle zu benennen, habe der Autor die Formulierung „…wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor“ benutzt. Als weitere Quelle habe der Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts zur Verfügung gestanden. Insgesamt habe die Redaktion umfangreich genug recherchiert, zumal es in der Vor-Gerichtsberichterstattung nicht üblich sei, mit dem Beschuldigten zu sprechen, da es doch eher um die Opfer als weniger um die (mutmaßlichen) Täter gehen sollte. Der Chefredakteur weist schließlich den Vorwurf der Rufschädigung zurück. Die Anonymität des Beschuldigten bleibe für die breite Öffentlichkeit gewahrt. Weder sein Name noch die Firma seien genannt worden. Damit dürfte es nur wenigen Eingeweihten bekannt sein, um wen es in dem Beitrag gehe. (2008)