First-Class-Flug: „Ich will hier leben“
Reportage mit Formulierungen wie aus einer Airline-Werbebroschüre
„Mein erster Flug in der First Class“ – unter dieser Überschrift lässt eine Sonntagszeitung einen Redakteur über einen Flug von Singapur nach Deutschland berichten. Der Autor schwärmt vom Ambiente und vom Service der Airline. Vier Fotos illustrieren den Beitrag. Am Ende des Artikels folgen Hinweise auf das Streckenangebot von Singapur Airlines sowie Preisbeispiele und ein Verweis auf die Homepage der Fluggesellschaft. Ein Leser der Zeitung vermutet, dass für die Berichterstattung bezahlt wurde. Gleichzeitig kritisiert er Schleichwerbung und die Verwendung von PR-Material. Die Chefredaktion der Zeitung glaubt, dass der Beitrag durch öffentliches Interesse gedeckt sei. Der Artikel sei Teil einer Serie unter dem Motto „Mein erstes Mal“. Konzept der Reihe sei es, dass ein Autor in Ich-Form eine besondere Urlaubserfahrung schildere. Bislang seien Beiträge über die erste Kreuzfahrt, den ersten Klosterurlaub, die erste Bergbesteigung und eben den ersten First-Class-Flug erschienen. Ziel sei es dabei gewesen, dem Leser mit den Berichten individuelle und subjektiv geschriebene Einblicke in Reiseerfahrungen zu geben, die er so vielleicht nie gehabt habe bzw. vielleicht nie haben werde. Der Erfahrungsbericht befähige den Leser zum Mitreden, ohne dass er sich je ein First-Class-Ticket gekauft hätte. Die Wahl der Airline sei nicht willkürlich gewesen. Man habe eine Gesellschaft gesucht, die ein besonders luxuriöses First-Class-Produkt anbiete. Auf zwei Airlines sei die Redaktion zugegangen, und Singapur Airlines habe am schnellsten reagiert. Die Airline habe die Kosten des Fluges übernommen. Dies sei in der Reiseberichterstattung nicht unüblich. Bewusst habe man einen kritischen Kollegen auf die Reise geschickt, von dem man habe erwarten können, dass er negative Erfahrungen – so es sie denn gegeben hätte – auch geschildert hätte. (2009)