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„Historische Parallelen aufgezeigt“

Zwei Autoren in die Nähe von Alfred Rosenberg gerückt

Die „Tageszeitung“ (TAZ) veröffentlicht einen Artikel unter der Überschrift „Das Eva-Braun-Prinzip“. Die Autorin versucht, die These zu belegen, dass die Mitte der Gesellschaft in Deutschland wieder rechts denkt. Sie schreibt: „Die alten ideologischen Ansichten werden nicht nur propagiert, sondern auch mehrheitlich akzeptiert“. Hierzu vergleicht die Autorin Textstellen des Buches von Eva Herman („Das Eva-Prinzip“) mit den Ansichten des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg („Mythos des 20. Jahrhunderts“). Während das Herman-Buch ständig zitiert wird, werden die Bücher von Frank Schirrmacher („Minimum“ und „Das Methusalem-Komplott“) – grafisch abgesetzt – als Beispiel für populär gedachte Erklärungsmuster benannt. Am Ende des Artikels, unterhalb des Kastens „Populär gedacht“ mit einer Auflistung von thematisch ausgewählten Schirrmacher-Büchern, findet sich – optisch hervorgehoben – das Rosenberg-Zitat: „Die Forderung der heutigen Frauenemanzipation wurde im Namen eines schrankenlosen Individualismus erhoben.“ Unterhalb dieser Leiste werden die Autoren Herman, Schirrmacher und Rosenberg im Bild gezeigt, und es wird die Frage gestellt: „Wer sagt das?“ Die Geschäftsführung der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ) – Frank Schirrmacher ist Herausgeber des Blattes – weist darauf hin, dass der kritisierte Artikel zahlreiche Textpassagen aus dem Herman-Buch einigen zentralen Aussagen des Rosenberg-Buches gegenüber stellt. Obwohl Schirrmacher und seine Bücher nicht Gegenstand des kritisierten Artikels seien, würden sie an zwei Stellen dennoch erwähnt. Schon dies sei ein Verstoß gegen Ziffer 2 des Pressekodex (journalistische Sorgfaltspflicht). Die Zeitung rücke ohne jeden Grund den ihr offenbar missliebigen Schirrmacher böswillig in die Nähe des NS-Ideologen Rosenberg. Den Lesern werde dadurch suggeriert, die Schirrmacher-Bücher enthielten nationalsozialistisches Gedankengut. Damit missachte die Autorin die Wahrheit und verletze die Menschenwürde von Frank Schirrmacher. Dies sei als ein Verstoß gegen die Ziffern 1 und 9 des Pressekodex zu bewerten. Die FAZ-Geschäftsführung ruft den Deutschen Presserat an. Die Chefredakteurin der kritisierten Zeitung erkennt keinen Verstoß gegen den Pressekodex. Der Artikel sei durch die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Die Frage „Wer sagt das?“ könne überhaupt nicht unwahr sein. Als Antwort komme nur eine Möglichkeit in Betracht: Alfred Rosenberg. In der Tat sei der FAZ-Herausgeber in dem Artikel nicht namentlich erwähnt worden, doch dürfe man die zeitlichen Zusammenhänge nicht außer Acht lassen. Schirrmacher und Herman bedauerten das angebliche Verschwinden der Familie in der modernen urbanen Gesellschaft und propagierten „wortgewaltig, wenn auch inhaltsarm“ das angebliche gesellschaftliche Bedürfnis nach ihrer Rückkehr bzw. dessen, was sie dafür hielten. So wie es das gute Recht eines Autoren sei, ein rückwärts gewandtes Gesellschaftsbild zu propagieren, so sei es das gute Recht der Presse, dies kritisch zu reflektieren und auch sich leider geradezu aufdrängende historische Parallelen aufzuzeigen. Für die behauptete Ehrverletzung von Frank Schirrmacher – schließt die Chefredakteurin – hätten die Beschwerdeführer nichts dargetan. (2006)