Schule hätte zu Wort kommen müssen
Schwere Vorwürfe wurden ohne Recherche veröffentlicht
Eine Regionalzeitung gibt einen Agenturbericht wieder, in dem es um eine Diskussionsveranstaltung an einem örtlichen Gymnasium geht. Thema war der Biologieunterricht, der angeblich weniger von anerkannten wissenschaftlichen Theorien (Evolution) als von überwiegend religiösen Auslegungen (Schöpfung) geprägt sei. Im Vorspann heißt es: „Seit knapp zwei Wochen berichten die Medien nun über ihre Stadt, fundamentalistischer Christen wegen, die im Biologieunterricht nicht nur Evolutionstheorie lehren, sondern noch ausführlicher die christliche Schöpfungslehre.“ Der namentlich genannte Vater eines früheren Schülers wird in gleichem Sinne zitiert. Nach seiner Darstellung erlebten die Kinder einen Unterricht, der Wissenschaft durch Theologie ersetzen wolle. Der Christliche Schulverein sieht eine einseitige Darstellung. Die Meinung eines Einzelnen werde zur Tatsachenbehauptung gemacht. Eine Stellungnahme der Schule zu den Vorwürfen sei nicht eingeholt worden. Der Schulverein wendet sich an den Deutschen Presserat. Nach seiner Auffassung sei die Behauptung nicht haltbar, im Biologieunterricht werde die christliche Schöpfung ausführlicher als die Evolution gelehrt. Im weiteren Verlauf des Artikels werde zu dieser Behauptung keine Quelle angegeben. Nur im folgenden Absatz werde der Vater eines ehemaligen Schülers zitiert. Hierbei handele es sich um die Wiedergabe einer Einzelmeinung, die im Vorspann zur Tatsachenbehauptung erhoben worden sei. Der Biologieunterricht verlaufe an der Schule im Rahmen der Lehrpläne des Bundeslandes. Theologische Themen würden im Religionsunterricht behandelt. Da der Beschwerde ein in der Regionalzeitung veröffentlichter Agenturbericht zugrunde liegt, erweitert der Presserat das Verfahren auf die Agentur. Deren Chefredakteur teilt mit, die fragliche Veranstaltung habe an einem Freitagabend stattgefunden. Vertreter der Schule hätten daran teilnehmen und ihre Position darstellen können. Die im Verlauf der Diskussion geäußerten Vorwürfe seien im Bericht als solche gekennzeichnet worden. Auch dem Leser werde auf diese Weise deutlich, dass auf der Veranstaltung lediglich die Position einer Seite eine Rolle spielte. Die Korrespondentin hätte am Wochenende keine Möglichkeit gehabt, eine Stellungnahme der Schule einzuholen. Die Berichterstattung – so der Chefredakteur weiter – sei zulässig, denn die lebhafte öffentliche Debatte über die Schule habe einen objektiven Nachrichtenwert. Um der Beschwerde im Kern gerecht zu werden, hätte man über die Veranstaltung überhaupt nicht berichten dürfen. Selbstzensur sei der Presse jedoch nicht zuzumuten. (2006)