Schwärzungen als „scheinheilig“ bezeichnet
Anzeigenblatt berichtet über lokale Übergriffe in der Progromnacht 1938
Zwanzig Bewohner einer Kleinstadt beteiligten sich 1938 während der Progromnacht an den im ganzen Land von den Nazis angezettelten Übergriffen gegen jüdische Mitbürger. Sie mussten sich 1948 vor Gericht verantworten. Das im Ort erscheinende Anzeigenblatt beschreibt in großer Aufmachung die Ereignisse von 1938 und zeigt in einer Illustration die Stellen in der Stadt, die Schauplatz von Brandstiftungen waren. Das Blatt berichtet auch über die juristische Aufarbeitung der damaligen Exzesse und zeigt im Faksimile die erste Seite der Anklageschrift von 1948. Nachnamen und Adressen der Angeklagten sind geschwärzt. Einer der Beschuldigten war zur Tatzeit 18 Jahre alt. Er ist 1994 gestorben. Sein Sohn tritt nunmehr als Beschwerdeführer auf. Er stört sich daran, dass das Blatt die folgende Beschreibung des Vaters abdruckt: „Bl. 38 ff – 16. Willi A…, Mechaniker, geb. 29. 12. 1919, in Vil., wohnhaft dortselbst, verheiratet“. Der Rest ist geschwärzt. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass die Straftaten vor über 70 Jahren begangen wurden und die Strafen bis 1950 verbüßt worden seien. Alle aufgelisteten Angeklagten seien Privatpersonen und zum Teil zum Zeitpunkt des Progroms Minderjährige oder Heranwachsende gewesen. Trotz der „scheinheiligen“ Schwärzung seien die Personen unschwer zu erkennen. Die Würde der Toten und der lebenden Angehörigen seien auf das Schwerste verletzt worden. Ein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung der Namen bestehe nicht. Die Redaktion hat nach eigenem Bekunden nicht gegen den Pressekodex verstoßen. Das Ereignis sei in allen Medien aufgegriffen worden. Dies besonders vor dem Hintergrund eines verstärkt zu beobachtenden rechtsextremen Gedankengutes. Die Redaktion habe die juristische Aufarbeitung der örtlichen Progromnacht als Teil der notwendigen Erinnerung angesehen. Bei der Anklageschrift von 1948 handele es sich um ein historisches Zeitdokument. Eine Identifizierung des Vaters des Beschwerdeführers erscheine unwahrscheinlich, da dieser vor 14 Jahren verstorben sei. Dass sich der Beschwerdeführer und dessen Familie durch die Abbildung der ersten Seite der Anklageschrift persönlich mit der Vergangenheit des inzwischen Verstorbenen konfrontiert sähen, könne nach Auffassung der Redaktion keine Verletzung des Pressekodex begründen. (2008)