Redaktion entschuldigt sich für Fehler
Als Leserbrief gedachte Einsendung an einen Dritten weitergegeben
Vor der Seebrücke eines Badeortes an der Ostsee stehen eines Morgens der Bürgermeister, die Kurdirektorin und ein Rechtsanwalt. Die drei wollen vom Pächter der Brücke die Schlüssel haben. Grund sind Meinungsverschiedenheiten in Geldangelegenheiten. Die am Ort erscheinende Zeitung berichtet über den Vorfall. Der Pächter der Seebrücke betreibt in einem Nachbarort drei Hotels und baut dort zurzeit einen großen Appartementkomplex. Ein dort lebendes Ehepaar ist durch den Zeitungsbericht alarmiert. Es beobachtet seit Wochen, dass es mit den Arbeiten am Appartementbau in ihrer nächsten Nachbarschaft nicht so recht weitergeht. Die beiden Anlieger vermuten, dass dem Unternehmer das Geld ausgegangen ist und dass sie künftig mit einer Bauruine vor dem Haus leben müssen. Sie schreiben eine E-Mail an die Zeitung, die einerseits als Leserbrief gedacht ist, zum anderen aber auch ein Denkanstoß für die weitere Berichterstattung sein soll. Ein Redaktionsmitglied – es vertritt die in Urlaub weilende Autorin des Berichts – gibt die Mail an den Bauunternehmer weiter. Er soll für die folgende Berichterstattung Stellung nehmen. Die beiden Absender dieser Mail nehmen dies zum Anlass einer Beschwerde beim Presserat. Nach ihrer Ansicht ist Richtlinie 2.6 des Pressekodex verletzt. Dort ist festgehalten, dass Leserbriefe nicht an Dritte weitergegeben werden dürfen. Die Chefredaktion der Zeitung bestätigt, dass jemand aus der Redaktion die E-Mail der Beschwerdeführer im Rahmen der weitergehenden Recherche an den angegriffenen Bauunternehmer geschickt habe. Leider habe der Kollege versäumt, dabei die Absenderangaben zu schwärzen. Dies bedauere die Redaktion. Es handele sich dabei um einen absoluten Ausnahmefall. Im Übrigen – so die Chefredaktion weiter – sei die E-Mail nicht als Leserbrief gekennzeichnet gewesen. Auch aus dem Inhalt habe man nicht auf einen Leserbrief schließen können. Daher sei die Redaktion von einem Anstoß für die weitere Berichterstattung ausgegangen. Schließlich sei eine Veröffentlichung unterblieben, da die Redaktion keine Bestätigung für die dort erhobenen Vorwürfe gefunden habe. Die Beschwerdeführer hätten auch nicht besonders darauf hingewiesen, dass sie mit ihrer Kritik an dem Bauunternehmer hätten anonym bleiben wollen. Für den Fall, dass die E-Mail als Leserbrief veröffentlicht worden wäre, hätte dieser wie üblich den Verfasservermerk getragen. In diesem Fall wären die Einsender nicht anonym geblieben. Trotz allem entschuldigt sich die Redaktion ausdrücklich für ihren Fehler. (2010)