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Adresse des mutmaßlichen Täters genannt

Informationsinteresse überwiegt nicht die Interessen des Betroffenen

„Säure-Angriff: Taxifahrer wollte seine Frau töten“ titelt die Online-Ausgabe einer Tageszeitung. Im Bericht geht es um ein versuchtes Tötungsdelikt. Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen türkischen Taxifahrer, der seine seit längerem von ihm getrennt lebende Ehefrau mit einem Messer attackiert und dann mit Säure übergossen habe. Neben dem Alter von Opfer und Täter wird auch die vollständige Wohnadresse des mutmaßlichen Täters genannt. Ein Leser der Zeitung sieht in der nach seiner Ansicht völlig unnötigen Nennung der Adresse einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex (Persönlichkeitsrechte). Die Nennung der Adresse gehe über das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der berichteten Tat weit hinaus. Der Presserat fordert die Redaktion außerdem auf, sich zu der Frage zu äußern, ob durch die Erwähnung der Herkunft des Täters möglicherweise auch ein Verstoß gegen Ziffer 12 des Pressekodex (Diskriminierungen) vorliege. Die Justiziarin der Zeitung vertritt die Ansicht, dass eine identifizierende Berichterstattung durch die Vorgaben der Ziffer 8 (Persönlichkeitsrechte) gedeckt sei. Es gehe um eine schwere Straftat, die sich in der Öffentlichkeit („auf offener Straße“) abgespielt habe. Zahlreiche Passanten hätten das Geschehen mitbekommen. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Ziffer 12 liege – so die Rechtsvertretung der Zeitung – ebenfalls nicht vor. Säureattentate kämen in Mitteleuropa recht selten vor. Oft seien sie Ausdruck einer Geringschätzung Frauen gegenüber. Die Redaktion habe deshalb einen Sachbezug zwischen der Tat und der Herkunft des mutmaßlichen Täters durchaus als gegeben angesehen.