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„Redaktion hat Ermessensspielraum“

Zeitung veröffentlicht immer Adressen von Leserbrief-Einsendern

In einer Regionalzeitung erscheinen vier Leserbriefe mit den vollständigen Adressen der Einsender. Eine Leserin sieht einen Verstoß gegen Ziffer 2, Richtlinie 2.6, (Leserbriefe) und Ziffer 8 (Persönlichkeitsrechte) des Pressekodex, da die Zeitung personenbezogene Daten abgedruckt habe. Der Herausgeber und Chefredakteur der Zeitung ist der Ansicht, dass die Veröffentlichung von Adressen unter Leserbriefen der „Wahrung berechtigter Interessen“ im Sinne von Richtlinie 2.6, Absatz 3, des Pressekodex dienen könne. Die Formulierung im Kodex lasse den Redaktionen einen Ermessensspielraum. Er verweist auf eine seit Jahren gepflegte und nie beanstandete Tradition der Zeitung, die Adressen der Absender bei der Veröffentlichung von lokalen Leserbriefen anzugeben. Der Chefredakteur vertritt die Meinung, dass die Adressen der jeweiligen Leserbrief-Autoren einen beachtlichen Informationswert hätten. Ein als Anwohner zu erkennender Autor bringe einen ganz anderen Erfahrungsschatz und Blickwinkel ein als ein externer Autor. Gerade in den mit Leidenschaft geführten lokalen Debatten wollten Leser wissen, aus welchem Stadt-, Ortsteil oder Straßenviertel ein Einsender stamme. Ortsnamen seien nicht ausreichend. Telefonnummern drucke man selbstverständlich nicht ab. Der Chefredakteur weist schließlich darauf hin, dass Leser, die sich per Einsendung an die Zeitung öffentlich zu Wort melden, freiwillig ihre Anonymität verließen. Die lokalen Leserbriefseiten seien in dieser Form ein echtes Qualitätssiegel und für die Abonnenten zu einem unverzichtbaren Teil der Zeitung geworden. Im Übrigen würden Zuschriften mit voller Adresse nur dann veröffentlicht, wenn eine eindeutige Einwilligung des Einsenders vorliege.