Das Martyrium von Vergewaltigungsopfern
Zeitung berichtet detailliert über Verbrechen an einem Mädchen
Eine Regionalzeitung berichtet unter der Überschrift „Zehnjährige bedroht und vergewaltigt“ über den Prozess gegen einen 32-jährigen Mann, dem vorgeworfen wird, ein kleines Mädchen vergewaltigt zu haben. Detailliert beschreibt die Zeitung, wie sich die Tat abgespielt hat. Die Leiterin der Schule, in der das Mädchen unterrichtet wird, beschwert sich beim Presserat. Die detaillierte Beschreibung des Missbrauchs verletze die Intimsphäre des Kindes. Der Chefredakteur der Zeitung berichtet, die Autorin des fraglichen Beitrags habe versucht, der Schulleiterin die Motive für die Berichterstattung zu erläutern. Zusätzliche Probleme für das Opfer seien nicht beabsichtigt gewesen. Sollte dies der Fall sein, bedauere es die Redaktion von Herzen. Der Chefredakteur ist sich mit der Autorin einig darüber, dass der Beitrag grenzwertig sei. Die Redaktion habe sich dennoch zu dieser Art der Berichterstattung entschlossen, weil allein die Begrifflichkeiten Missbrauch und Vergewaltigung nicht mehr ausreichten, um die Dramatik und die körperlichen und psychischen Verletzungen nachvollziehbar zu machen. Gründe für die Veröffentlichung seien allein gewesen, für mehr Betroffenheit zu sorgen, sich in bewusster Eindeutigkeit den Opfern zuzuwenden und sich jedem entgegen zu stellen, der der Ansicht sein könnte, es handele sich bei Missbrauch und Vergewaltigung um so etwas wie Kavaliersdelikte. Natürlich sei es das Anliegen der Zeitung, die Intimsphäre des Opfers zu schützen. Deshalb habe die Redaktion das Opfer bewusst anonymisiert. Dies erreiche jedoch nicht den gewünschten Effekt, wenn in der Stadt bzw. in der Schule der Fall ohnehin bekannt sei. Viele Leser habe der Artikel betroffen gemacht. Er habe bewusst gemacht, welches Martyrium Vergewaltigungsopfer erleiden. Hier gelte es, in Zukunft vor einer Veröffentlichung noch intensiver nachzudenken, welche Wirkung ein solcher Bericht auf die Betroffenen haben könnte. (2010)