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Professor geht bewusst an die Öffentlichkeit

Begriff „Mobbing“ verstößt gegen presseethische Grundsätze

Eine Boulevardzeitung berichtet gedruckt und online unter der Überschrift „Jetzt sitzt er in der Psychiatrie“ über einen Universitätsprofessor, der psychiatrisch behandelt wird. Der Mann wird mit vollem Namen und Alter genannt; sein Foto ist dem Beitrag beigestellt. In der Dachzeile zur Überschrift ist von dem „gemobbten Uni-Professor“ die Rede. Die Autorin erweckt den Eindruck, als habe sie den Professor besucht. Sie beschreibt, wie Besucher Panzerglastüren und Sicherheitsschlösser hinter sich lassen und von einem Pfleger überprüft werden, bevor sie in das Zimmer des Patienten gelangen. Der Professor kommt in dem Beitrag zu Wort. Er nimmt zu den Anschuldigungen seiner Frau und eines Kollegen Stellung. Ein Leser der Zeitung hält es für einen Verstoß gegen presseethische Grundsätze, dass ein offensichtlich psychisch kranker Mensch in der geschlossenen Psychiatrie besucht, befragt und fotografiert wird. Es sei in höchstem Maße unseriös, eine Berichterstattung auf den Angaben eines Menschen zu gründen, der unter Wahnvorstellungen leide. Eine etwaige Zustimmung eines Kranken, über ihn zu berichten, könne wohl kaum wirksam sein. Der Beschwerdeführer äußert den Verdacht, dass sich die Autorin des kritisierten Berichts unter einem Vorwand Zutritt zur Klinik verschafft habe, denn Besuche dort seien nur Angehörigen und Freunden erlaubt. Der Justitiar der Zeitung weist darauf hin, dass die Berichterstattung nicht nur im Einverständnis, sondern sogar auf ausdrücklichen Wunsch des Professors zustande gekommen sei. Das Einverständnis sei durchaus wirksam, da der Patient zum Zeitpunkt der Berichterstattung nicht entmündigt und im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen sei. Es sei ihm ein besonderes Anliegen gewesen, der Öffentlichkeit seine Sicht der Einweisung in die Psychiatrie zu erläutern, für die er seine von ihm getrennt lebende Ehefrau und einen Uni-Kollegen ausdrücklich verantwortlich mache. Aufgrund vorangegangener Recherchen habe die Autorin berechtigten Anlass gehabt, die bloße Behauptung Dritter über etwaige psychische Störungen des Professors zu hinterfragen. Im Zuge dieser Recherchen habe die Redakteurin erfahren, dass die zuständige Richterin einen ersten Antrag auf Einweisung in die geschlossene Psychiatrie abgelehnt habe. Erst auf zunehmenden Druck von Seiten der Universität habe die Richterin schließlich dem Wunsch von Ehefrau und Uni-Leitung entsprochen. Der Justitiar stellt klar, dass die Autorin des Beitrages den Professor nicht in der Psychiatrie besucht habe. Dieser habe sich selbst an die Presse gewandt und das von der Zeitung abgedruckte Bild an die Redaktion geschickt. (2011)