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„Monster“ nach monströsem Verbrechen

Presse ist nicht zwingend an die Terminologie der Justiz gebunden

„Anwältin des Mörders schmeißt hin“ – unter dieser Überschrift berichtet die Online-Ausgabe einer Boulevardzeitung über einen Anwaltswechsel im Fall des Mörders des zehnjährigen Mirco. Dem Bericht liegt eine Fotostrecke mit 63 Bildern bei. Das erste Foto trägt die Unterschrift: „Sie hielt es nur wenige Tage mit dem Monster aus. Rechtsanwältin (…) hat ihr Mandat (…) wieder abgegeben.“ Ein Leser beschwert sich beim Presserat wegen der Bezeichnung des Tatverdächtigen als „Mörder“. Er sieht Ziffer 13 des Pressekodex (Unschuldsvermutung) verletzt. Hier werde einem möglichen Urteil vorgegriffen. Auch sei die Bezeichnung des mutmaßlichen Täters als „Monster“ nach Ziffer 1 des Pressekodex beleidigend. Die Rechtsvertretung der Zeitung weist auf besondere Umstände im „Fall Mirco“ hin und weist die Beschwerde als unbegründet zurück. Es habe sich um ein Geschehen von bundesweitem Interesse gehandelt. Nach Mircos Entführung habe die Polizei eine der größten Suchaktionen in der deutschen Kriminalgeschichte gestartet. Kindesmisshandlungen und -tötungen der Vergangenheit hätten vor allem bei Eltern großes Interesse erweckt. Entscheidend sei bei der Beurteilung dieses Falles, dass der Betroffene zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits ein Geständnis abgelegt habe. Dadurch sei er zur relativen Person der Zeitgeschichte geworden. Was die Ziffer 13 des Pressekodex angehe, dürfe die Presse eine Person als Täter bezeichnen, wenn diese ein Geständnis abgelegt habe und zudem Beweise gegen sie vorlägen. Schließlich weist die Zeitung den Vorwurf zurück, die Bezeichnung „Monster“ verstoße gegen die Achtung der Menschenwürde nach Ziffer 1 des Pressekodex. Die schrecklichen Tatumstände rechtfertigten diese Einschätzung der Redaktion, der Tatverdächtige sei mit einem „Monster“ gleichzusetzen. (2011)