Ein Bürgermeister geht auf Tauchstation
Lokalredaktion führt mit dem Stadtoberhaupt ein fiktives Interview
Eine Regionalzeitung veröffentlicht ein fiktives Interview mit dem Bürgermeister einer Stadt im Verbreitungsgebiet. Nachdem dieser wieder einmal nicht für ein Gespräch zur Verfügung stand, habe die Redaktion die eigentlich an das Stadtoberhaupt gerichteten Fragen selbst beantwortet. Der verantwortliche Redakteur sagt dazu: „Dabei legten wir bekannte Tatsachen zugrunde und nutzten frühere Aussagen (…).Manche Antworten in unserem fiktiven Interview ergeben sich indes aus einem logischen Zusammenhang.“ Ein Leser hält es für einen Verstoß gegen den Pressekodex, wenn eine Zeitung ein fiktives Interview mit einer real existierenden Person veröffentlicht. Nach Darstellung des Chefredakteurs geht es um eine Ferienanlage, ein ehrgeiziges Projekt des Bürgermeisters. Bei diesem Thema sei die Leserschaft seit Jahren in Befürworter und Gegner gespalten. Im Lauf der Zeit habe sich herauskristallisiert, dass sich wohl kein Investor für das Projekt finden werde. Je düsterer die Lage geworden sei, umso mehr sei der Bürgermeister der Redaktion gegenüber auf Tauchstation gegangen. Interviews seien erst zu- und dann wieder abgesagt worden. Schriftlich eingesandte Fragen seien unbeantwortet geblieben. Die Redaktion habe sich schließlich zu dem fiktiven Interview entschlossen, das die unbeantworteten Fragen habe dokumentieren sollen. Der Antwortpart des Bürgermeisters wäre dann mit sattem Weißraum zu erkennen gewesen, um dessen Sprachlosigkeit zu dokumentieren. Alternativ habe es den Plan gegeben, die sich am meisten aufdrängenden Fragen zum Thema aufzulisten und aus dem Kenntnisstand der Redaktion zu beantworten. Im Laufe des Produktionstages seien beide Stilformen von der Redaktion vermischt worden und dann – in Überschrift und Vorspann eindeutig ausgewiesen – als fiktives Interview veröffentlicht worden. Von vielen Lesern sei diese Form akzeptiert worden. Andere hätten empört reagiert. Die Zeitung habe sich noch am Erscheinungstag in ihrer Online-Ausgabe und tags darauf in allen Printausgaben entschuldigt. Der Chefredakteur spricht von einem Fehler, den die Redaktion gemacht habe. Auch habe es ein Kommunikationsproblem zwischen Lokal- und Chefredaktion gegeben. Der Chefredakteur stellt fest, dass er nur die Version ohne Antworten gesehen habe. Er halte beide Versionen für statthaft, aber auch ein wenig frech. Das komplett fiktive Interview gehe ihm zu weit, selbst wenn es als solches kenntlich gemacht worden sei. Es sei jedenfalls kein Stilmittel, das die Zeitung künftig wieder nutzen werde, sondern Ergebnis einer Panne und als solche für die Redaktion abgehakt. (2011)